Städtebauliche Wertermittlung

nach neuem Recht – Handlungsfeld „Sozialer Grundstückswert“

Seit dem 1. Januar 2022 gilt in Deutschland die neue Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV 2021). Die novellierten rechtlichen Vorgaben erfordern ein Umdenken bei Gutachterausschüssen, Grundstücksverwaltungsgesellschaftern, Behörden, Gerichten, Anwälten, Maklern und Sachverständigen. Insbesondere bekommt die Befassung mit aktuellen Methoden zur Ableitung von Bodenrichtwerten eine weitaus stärkere Bedeutung (dank der Grundsteuerreform). Der einflussreiche International Valuations Standards Council (IVSC) diskutiert Einflussgrößen für einen „social property value“ („sozialer Grundstückswert“). Der Diskurs steht freilich erst am Anfang. Die städtebauliche Wertermittlung im Wesentlichen basierend auf den Vorschriften der ImmoWertV und auch die Bodenpolitik (land policy) als Instrument beispielsweise der öffentlichen Wohnraum- und Energieversorgung sind essenziell wichtig.

Modellkonformität

Auf den ersten Blick stellt die – bislang ohnehin schon vorhandene, aber in WertV und ImmoWertV 2010 nicht juristisch „greifbare“ – Aufnahme des Grundsatzes der Modellkonformität nach § 10 ImmoWertV den eigentlichen Paradigmenwechsel im neuen Recht der Grundstückswertermittlung dar. Einen neuen Begriff führt das neue Recht ein: den „Verfahrenswert“. Er bezeichnet das Zwischenergebnis eines Wertermittlungsverfahrens ohne Marktanpassung; an der Methodik der Wertermittlung hat sich mit Ausnahme der ausdifferenzierten Marktanpassung nichts geändert. Entscheidende Querverbindungen zu einer Politik der Innenentwicklung haben die §§ 13-16 ImmoWertV zur Bodenrichtwertermittlung, die Ausführungen zur Methodik der Bodenwertermittlung nach den §§ 40-44 ImmoWertV sowie die Normen zur Ermittlung des Erbbaurechts und Erbbaugrundstücks gemäß §§ 48-52 ImmoWertV.
Die Neuerungen betreffen die Berücksichtigung der tatsächlichen Nutzung auf den Bodenwert (Abweichungen) und Abstellen auf den gewöhnlichen Geschäftsverkehr (§ 40 ImmoWertV 2021). Weitere Innovationen in der Bodenwertermittlung, die für die Bodenmobilisierung nach § 1 Abs. 5 Satz 3 BauGB wesentlich sein dürften, betreffen die nutzungsabhängige Bodenwertermittlung bei Liquidationsobjekten nach § 43 ImmoWertV 2021 und die Bodenwertermittlung für Gemeinbedarfsflächen (§ 44 ImmoWertV 2021).

Bodenwertermittlung bei Liquidationsobjekten

Die Neuregelungen in § 40 und § 43 ImmoWertV zur alsbaldigen und augeschobenen Freilegung (und Wiederbebauung) von Grundstücken ist für die wertermittlungsrechtliche Begleitung der Innenentwicklung von großer Bedeutung. § 40 ImmoWertV regelt den Fall der Bodenwertermittlung eines Liquidationsobjektes, das aber nicht liquidiert wird, weil es etwa wegen bestehender Miet- und Pachtverträge nicht zeitnah abgerissen werden kann. In diesem Fall kann der Bodenwert mittels Residualwertverfahren ermittelt werden. Es wird regelmäßig mit Abzinsungsfaktoren gearbeitet. Relevant ist auch die Regelung des § 43 ImmoWertV. Die „aufgeschobene Freilegung“ kommt in der Bewertungspraxis oft vor. Ein Wertermittlungsobjekt mit geringer Restnutzungsdauer ist bebaut, der Bodenwertanteil übersteigt den Reinertrag des Gebäudes, und die Baulichkeiten sind auch tatsächlich wirtschaftlich für eine Grundstückswiedernutzung abreißen. Aus den unterschiedlichsten Gründen kann es indes nicht freigelegt werden – etwa aus planungs- oder denkmalschutzrechtlichen Gründen – sodass die Grundstücksberäumung aufgeschoben werden muss.

Wichtig und neu im Recht der Grundstückswertermittlung: Gemeinbedarfsflächen

Die ImmoWertV 2021 liefert zudem eine normative Grundlage zur Bewertung von Gemeinbedarfsflächen nach § 44 ImmoWertV 2021. Die ImmoWertV enthält indes keine Angabe oder Definition darüber, was als „Gemeinbedarfsfläche“ (besser: Gemeineigentumsgrundstück) in der Wertermittlung zu berücksichtigen ist. Gemeinbedarfsflächen sind allerdings für die Bodengerechtigkeit essentiell; sie gehen weit über die Bedeutung des § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB hinaus. Die in § 44 ImmoWertV gegebene Gliederung in bleibende Gemeinbedarfsflächen, abgehende Gemeinbedarfsflächen und künftige Gemeinbedarfsflächen erfordert eine detaillierte Bewertung im Einzelfall. Eine Automatisierung dieser Bewertungsaufgaben ist nur schwierig erreichbar. Allerdings ist nicht zu leugnen, dass viele kommunale Aufgaben, die herkömmlich dem „Gemeinbedarf“ zugeordnet wurden, heutzutage privatisiert sind, etwa private Kitas, Krankenhäuser, Freizeitbäder, private Alten- und Pflegeheime oder Sportanlagen als wichtige Infrastruktur für eine Flächenkreislaufwirtschaft.
In der Zukunft sind klarere Kategorien für die Aufteilung in bleibende, abgehende und künftige Gemeinbedarfsflächen zu erarbeiten. Möglicherweise bringen die Ausführungshinweise der ImmoWertA Klärung. Gemeinbedarfsflächen werden oft den res extra commercium hinzugerechnet. Dies heißt aber nicht, dass ihnen kein Marktwert zugeordnet werden kann – obwohl kein Grundstücksmarkt besteht, da im Regelfall nur die öffentliche Hand als Nachfrager, Nutzer und Eigentümer dieser Flächen in Frage kommt. Die Fachliteratur bietet eine Bewertung nach dem Vorwirkungsgrundsatz und nach der Ersatzbeschaffung als „Hilfskonstruktion“ an. Insbesondere sind diese Flächen nicht unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 ImmoWertV 2021 zu subsumieren.
Der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung: Dass für solche Grundstücke ein „freier Markt“ fehle, rechtfertige nicht die Schlussfolgerung, dass ihnen ein realer wirtschaftlicher Wert nicht zukomme. Die Literatur hat einen bedarfsträgerspezifischen Wert erarbeitet in Anlehnung an einen public interest value. Hier kommen auf die Grundstückssachverständigen zukünftig die Aufgabe zu, für bleibende Gemeinbedarfsflächen (insbesondere Parkanlagen, Grünanlagen zu Erholungszwecken) einen Grundstücksteilmarkt zu konstruieren. Dies ist eine neue Vorschrift, denn sie stellt – gegenüber der bisherigen Fassung der ImmoWertV – klar, dass Gegenstände der Wertermittlung nach § 1 Abs. 2 ImmoWertV „nicht marktfähig“ oder „nicht marktgängig“ sein können und trotzdem einen Verkehrswert haben können. Zu denken ist an Straßenland, Unland, Wasserstraßen oder Gebirgsflächen, nach h.M. auch nicht nutzbare Brachflächen oder „Grundstücks-Ladenhüter“.
Eine rechtssichere Erläuterung der Begriffe „marktfähig“ oder „marktgängig“ wird allerdings nicht gegeben. Auch bleibende Gemeinbedarfsflächen sollen hierzu gehören. Die Berücksichtigung wirtschaftlicher Vor- und Nachteile bei der Bewertung dieser Flächen ist nicht ausreichend. Hier besteht offenkundiger Forschungs- und Beratungsbedarf insbesondere vor dem Hintergrund der Innenentwicklung. Es fehlt bisher an einer Systematisierung derjenigen Grundstücke, die nicht marktfähig oder marktgängig sind, vor allem, da die ImmoWertV 2021 wie auch schon die Vorgängernorm ImmoWertV 2010 aufführt, ohne sie zu spezifizieren.

Zusammenfassung

Die ImmoWertV 2021 zielt durch ihre Dichotomie auf bundeseinheitliche modell- und referenzkonforme Ableitungen und Darstellungen von Bodenrichtwerten, Bodenrichtwertzonen, Liegenschaftszinssätzen, Umrechnungskoeffizienten und Faktoren wie etwa Erbbaurechtsfaktoren ab. Ziel ist letztlich eine Automatisierung der Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken. Durch die hier exemplarisch dargestellten Regelungen hat sich auch die Anwendung der ImmoWertV für die in der Innenentwicklung eminent wichtige städtebaurechtliche Wertermittlung deutlich verbessert. Das gilt für die Bodenbewertung, die methodisch saubere Erfassung der Liquidationsobjekte und für – erstmals bundeseinheitlich verbindlich normierte – Grundsätze zur Bewertung von Erbbaurechten und Erbbaugrundstücken. Die Bedeutung des Regelwerks liegt deshalb auch nicht vorrangig im Versuch zur Erreichung größtmöglicher Genauigkeit durch das „Dogma Modellkonformität“. Viel wichtiger ist die Nutzbarmachung des Wertermittlungsrechts für Städtebaurecht und Flächenrezyklierung.
Dennoch liegen weder zur Grundstücksbewertung des Gemeineigentums, zu Gemeinbedarfsflächen nach § 44 ImmoWertV noch zur gemeinwirtschaftlichen Grundstücksbewirtschaftung bundeseinheitliche Parameter, Koeffizienten, marktangepasste Liegenschaftszinssätze oder gar Ertrags- und Vergleichsfaktoren vor. Es gibt auch nicht immer (direkte) Vergleichspreise zur Marktanpassung. Das Hemmnis „hohe Bodenpreise und Bodenrichtwerte“ besitzt für Flächenzyklierungsstrategien seine Stellschraube in der Ausweitung der Sozialbindung des Eigentums und in den Einwirkungsmöglichkeiten auf die Bodenwerte im Rahmen einer „Boden-Nutzungs-Reform“. Es ist darüber hinaus für eine bodenökonomische Mobilisierung des wiedernutzbaren Flächenbestands deutlich zu machen, dass Pilot- und Präzedenzfälle auf der Grundlage des Kalkulations- und Residualwertverfahrens erarbeitet werden, um – unter Berücksichtigung der Grundstücksberäumungs- und Abrisskosten – zu realitätsgerechten Bodenwerten zu gelangen.

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